Smartwatches als Medizinprodukt

Die Herzfrequenz messen kann inzwischen nahezu jede Smartwatch und jeder Fitnesstracker. Mit immer mehr Geräten lässt sich auch der Sauerstoffgehalt im Blut messen und der Schlaf analysieren. Mit noch ausgereifteren Wearables lässt sich auch ein EKG machen, der Blutdruck oder die Körpertemperatur messen.

Anders ausgedrückt: Immer mehr Smartwatches sind kleine medizinische Wunderwerke. Dennoch verfügen die meisten Geräte über keine Zulassung als Medizinprodukt. Ein Fehler, finden Prof. Dr. Christoph Russmann und Dr. Sinje Gehr von der Göttinger HAWK-Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit, die dazu einen Beitrag im Wissenschaftsmagazin „Nature Reviews Cardiology“ veröffentlicht haben.

Smartwatches und Fitnesstracker, die als Medizinprodukt zugelassen wären, hätten das Potenzial, den bestehenden Markt radikal zu verändern. Mehr als 533 Millionen Smartwatches wurden inzwischen verkauft. Ein gewaltiger Markt mit stark steigender Tendenz, der auch immer bedeutender für die medizinische Prävention wird. Wie diese häufig rund um die Uhr getragenen Geräte in der klinischen Diagnostik an Bedeutung gewinnen könnten, ist Bestandteil des Aufsatzes von Russmann und Gehr. Sie erörtern Strategien für eine sichere Umwidmung dieser Lifestyle-Produkte in Medizinprodukte. „Es ergäben sich beim medizinischen Einsatz von Smartwatch & Co. für die noch besser auf den Patienten abgestimmte Therapie und deren Erfolg insbesondere in der kardiovaskulären medizinischen Behandlung ungeahnte Möglichkeiten“, sind sich die beiden Wissenschaftler der HAWK – Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Göttingen sicher.

Es ist vor allem die Menge der erfassten medizinischen Daten, die derzeit noch weitgehend ungenutzt bleiben, von denen laut Russmann und Gehr das Gesundheitssystem profitieren könnte, vorausgesetzt, die Geräte wären als Medizinprodukt zugelassen. Damit könnte nach ihrer Einschätzung die personalisierte Medizin revolutioniert werden. Darunter wird eine Form der Behandlung verstanden, die sich an den individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen des Patienten orientiert und fortlaufend angepasst werden kann.

Bild: Timeo Brants

Smartwatches bieten durch ihre erfassten Daten schon jetzt diese Möglichkeit der Diagnose und könnte durch die dauerhafte Messung helfen, Therapien immer wieder anzupassen und damit den Therapieerfolg eher zu ermöglichen. Die Big Data-Technologie könnte dabei helfen, die enorme Menge erfasster Daten zu analysieren und daraus Muster abzuleiten, mit denen sich Krankheitsverläufe besser vorhersagen lassen und Krankheiten deutlich früher erkannt werden können.

Noch ist davon allerdings nur wenig Realität. Das liegt unter anderem an der fehlenden Zulassung als Medizinprodukt. An eine solche Zulassung werden hohe Anforderungen gestellt, die zudem in langwierigen und teuren Prozessen erfüllt werden müssten. Je nach Land müssen die Hersteller mit 2 bis 3 Jahren rechnen, bevor ein Produkt die Zulassung erhält. Dabei können Kosten von mehreren Hunderttausend Euro anfallen. Diese Summen sind zwar kein Problem für die Tech-Hersteller, sie scheuen eher vor der Dauer zurück.

Strategisch macht es nur bedingt Sinn, den volatilen Konsumgütermarkt mit sehr kurzen Innovationszyklen mit dem hochregulierten Medizintechnik-Markt zu vermischen“, so Russmann und Gehr. Das aber würde Chancen für andere Player wie Medizintechnik-Firmen, Software-Firmen und Start-ups schaffen, sich in diesem hochprofitablen Markt zu positionieren. Die weitere Entwicklung bleibt also spannend, zumal mit der nächsten Generation Smartwatches immer bessere Sensoren zum Einsatz kommen werden, die immer genauere Daten liefern und weitere Einsatzmöglichkeiten, etwa für Diabetiker ermöglichen.

Quelle: IDW
Bild: s. Kennz.